Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e.V.
Biologische Station Soest

Wie sah der Auerochse aus?

Skelettfunde und Zeichnungen

Vom wilden Auerochsen, der Stammform unserer Hausrinder, sind überwiegend nur Skelette sowie Hornhülsen übrig geblieben. Die Skelettfunde sind nicht nur sehr zahlreich, sondern oft sehr gut und mitunter fast vollständig erhalten. Dies erlaubt ein präzises Bild der Größe und Morphologie des Wildrinds. Für andere Aspekte, wie etwa das Fell und dessen Färbung, muss man andere Quellen zur Hand nehmen: Bereits vor etwa 40.000 Jahren haben Menschen der Altsteinzeit farbige Höhlenzeichnungen in Lascaux, Chauvet und anderen Orten hinterlassen. Die Bilder zeigen schwarze Bullen sowie Kühe, die von rotbraun über dunkelbraun bis schwarz mit rotbraunem Farbsattel variieren.

Auch die Zeichnung einer ganz schwarzen Kuh ist bekannt. Oft ist das helle sogenannte Mehlmaul sowie der helle Strich entlang des Rückgrats, der Aalstrich, zu erkennen. Historische schriftliche Quellen, etwa von Anton Schneeberger, der lebende Auerochsen im Polen des 16. Jahrhunderts besichtigte, oder Sigismund von Herberstain, der ein präpariertes Auerochsenfell besaß, bestätigen diese Färbung. Darüber hinaus weisen nahe Verwandte des Urs, wie die asiatischen Banteng, Gaur und Kouprey eine ganz ähnliche Färbung auf. Als Kälber kamen Auerochsen braun auf die Welt, Bullen färbten sich erst später um. Dies ist nicht nur durch historische Texte belegt, sondern bei lebenden asiatischen Wildrindern heute noch genauso.                

Körperbau

Eines der „Markenzeichen“ des Auerochsen, auch Ur genannt, war seine imposante Größe, mit der er die meisten Hausrinderrassen übertraf. Männliche Ure erreichten im Schnitt etwa 170 Zentimeter an der Schulter, Kühe waren mit 150 Zentimeter deutlich kleiner. Es gab auch eine Reihe von Exemplaren, welche die 180-Zentimeter-Marke überschritten. Generell waren Auerochsen des Pleistozäns größer als jene des Holozäns und auch waren jene des Nordens größer als die in Südeuropa gefundenen Ure. Manche der gefundenen ungarischen Urbullen erreichten eine Schulterhöhe von „nur“ 155 Zentimetern, womit sie einem großen Hausrindbullen entsprachen. Der Auerochse war damit in der Größe also durchaus variabel, aber auf alle Fälle ein imposantes Tier.

Als Wildrind war der Ur anders gebaut als die meisten unserer Hausrinder. So hatten Ure einen kurzen Rumpf und proportional längere Beine, sodass die Rumpflänge etwa der Schulterhöhe entsprach. Vermutlich hatten Auerochsen auch eine ebenso schlanke Taille wie andere Wildrinder. Dies machte den Ur um einiges wendiger und agiler als Hausrinder mit ihrem überwiegend schweren, tonnenförmigen Rumpf. Die hohen Dornfortsätze im Schulterbereich belegen weiter, dass beide Geschlechter über eine Art „Buckel“ als Ansatzstelle für große Schultermuskeln verfügten, welche die Tiere im Kampf benötigten, wie man es auch bei anderen Wildrindern findet. Bei Hausrindern ist dieses Muskelpaket meist stark reduziert. Allerdings verfügen manche ursprüngliche südeuropäische Rassen, vor allem junge Kampfrinder, noch über einen mehr oder weniger Ur-artigen Körperbau.

Auch der Schädel des Auerochsen war anders gebaut und größer als jener der meisten Hausrinder. Im Laufe der Entwicklung zum Haustier verkürzt sich oft der Schädelbau in Folge entwicklungsbiologischer Veränderungen, so auch bei den meisten Hausrindern. Der Ur hatte einen länglich gebauten Schädel, insbesondere eine lange Schnauzenpartie mit vergleichsweise kleinen Augen sowie einem geraden bis leicht konvexen Profil. Entsprechend gebaute Schädel findet man noch bei manchen südeuropäischen Rassen, aber auch Holstein-Frisier-Kühen. Auerochsen hatten ein kurzes, glänzendes Sommerfell und ein längeres, struppigeres Winterfell.

Ure hatten keine Mähne und keinen Bart wie Bisons oder Wisente, dafür jedoch deutlich ausgeprägte Stirnlocken, wie man sie bei den meisten Hausrindbullen findet. Die Farbe dieser Stirnlocken ist nicht überliefert – bei wildfarbenen Hausrindbullen findet sich ein Kontinuum von Blond, Rotbraun bis hin zu komplettem Schwarz.

Viele Hausrinder haben eine sogenannte Wamme, einen Hautlappen unter Hals und Brust. Sie ist bei Hornträgern verbreitet und auch der Auerochse dürfte nach Höhlenzeichnungen eine kurze Wamme gehabt haben. Bei vielen Hausrindern ist diese jedoch überlang, besonders bei zebuinen Rassen. Ebenfalls stark vergrößert ist der Euter der meisten Hausrindrassen – aus historischen Quellen und künstlerischen Darstellungen geht hervor, dass Euter weiblicher Auerochsen - wie auch bei anderen Wildrindern - klein und von der Seite kaum zu sehen waren.

Zusammenfassend kann man sagen, dass sich der Ur in einer Reihe von Merkmalen teilweise drastisch und eindeutig von seinen domestizierten Nachkommen unterschied. Allerdings sind nahezu alle äußerlichen Merkmale des Auerochsen noch bei Hausrindern zu finden, allerdings zersplittert und aufgeteilt über die Vielzahl der lebenden Rinderrassen. Es ist die Aufgabe der Abbildzüchtung die typischen Merkmale durch Kreuzung und Selektion geeigneter Rassen zu vereinigen. Dabei soll ein dem Ur möglichst gleichendes Rind entstehen, dass die Wildmerkmale stabil aufweist und gleichzeitig in der Lage ist, den Auerochsen ökologisch zu ersetzen.

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