Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e.V.
Biologische Station Soest

Zucht Methoden

Zucht im Einklang mit dem Naturschutz
Die von der ABU eingesetzten Rinder beweiden ganzjährig Flächen in Naturschutzgebieten, vor allem in der Lippeaue im Kreis Soest. Naturschutzfachliche Aspekte haben dabei immer Vorrang und geben vor, wie viele Tiere in welcher Dichte auf den Flächen eingesetzt und folglich zur Zucht verwendet werden können. Üblicherweise beträgt die Zahl der von der ABU eingesetzten Rinder zwischen 80 und 120 Tieren. Fast jede erwachsene Kuh bekommt jedes Frühjahr ein Kalb. Die überzähligen Tiere werden im Herbst abgegeben. Regelmäßig sind dabei auch züchterisch wertvolle Tiere, die bevorzugt zu anderen Züchtern gehen.
In den fünf Herden der ABU deckt jeweils ein sorgfältig ausgewählter ausgewachsener Zuchtbulle. Die jüngeren Bullen werden entnommen, wenn Kämpfe mit dem Zuchtbullen drohen.

Bullenkämpfe
Jeder Chefbulle deckt etwa drei bis vier Jahre und wird dann durch einen möglichst schöneren ersetzt. Falls sich kein schönerer findet, bleiben einzelne Bullen länger und werden ggf. auch zwischen den Herden getauscht. Da die Beweidungsdichte immer recht konstant bleiben muss, kommen die meisten Bullen zum Schlachter oder, wenn sie Glück haben und schön sind, zu anderen Züchtern.                                                                                                                                                                                         

Selektion
Bei der Selektion sind viele Aspekte entscheidend. Grundsätzlich ist zu beachten:

  •  die ökologisch Eignung der Individuen
  •  der optische und abstammungsgenetische Aspekt
  •  das Verhalten

Eine grundlegende Bedingung für die Zucht ist, dass die Tiere für die Pflege und Entwicklung der Naturschutzflächen weiterhin geeignet sind. Robust und genügsam, leicht kalbend und halbwegs friedlich im Umgang sind einige der Anforderungen für Rinder im Naturschutz. Die Tiere sollen möglichst ohne menschliche Hilfe oder Eingriffe in den Schutzgebieten leben können.

Dennoch werden die Tiere im Winter zugefüttert - jedoch nicht, weil sie prinzipiell nicht ohne Zufütterung auskämen, sondern weil die in der Lippeaue verfügbare Fläche im Winter einfach nicht ausreicht, die komplette Population zu ernähren. Ein großer Teil der Flächen wird regelmäßig überflutet, so dass das Gras danach ungenießbar ist. In jeder Wildtierpopulation kommt es vor, dass Tiere den Winter aus verschiedenen Gründen nicht überleben - Nahrungsknappheit, Krankheiten und Beutegreifer spielen hier eine Rolle. Aus Gründen des Tierschutzes geht das aber bei unserer Art der Haltung nicht.

Äußere Merkmale
Bezüglich der äußerlichen Merkmale sind jene des Auerochsen, so weit sie uns bekannt sind, das Zuchtziel. Entscheidungen zur Selektion einzelner Individuen zu fällen, kann mitunter knifflig sein. So kann es etwa vorkommen, dass ein Individuum gute Hörner, jedoch eine abweichende Fellfarbe hat oder umgekehrt. Dadurch muss man zwangsläufig Prioritäten setzen. Die jahrzehntelange Zucht in der Lippeaue hat beispielsweise gezeigt, dass Ur-typisch nach innen geschwungene Hörner bei weitem nicht so einfach zu bekommen sind wie etwa eine authentische Wildfarbe, vor allem da ersteres Merkmal auch bei Primitivrassen selten und beim Heckrind so gut wie gar nicht vorkommt. Prioritäten zu setzen, ist bis zu einem gewissen Grad subjektiv, daher erfolgt die Selektion von Individuen immer unter intensiver und oft kontroverser Diskussion.

Fast genauso wichtig wie die Betrachtung der sichtbaren Merkmale, die ein Tier aufweist, ist das Studium des individuellen Stammbaums. Denn dieser kann Aufschluss darüber geben, wie stabil ein Merkmal vererbt werden kann. So ist von einem Kreuzungstier in erster Generation keine stabile Vererbung zu erwarten, so gut es auch aussehen mag. Handelt es sich jedoch um ein züchterisch fortgeschrittenes Exemplar, dessen Eltern und sogar Großeltern bereits viele der gewünschten Merkmale aufwiesen, ist die Wahrscheinlichkeit bedeutend größer, dass das fragliche Tier diese auch an seinen Nachwuchs weitergeben wird.

Bekannterweise ist Inzucht, insbesondere Geschwisterpaarung, ein effektives Mittel, um bestimmte Merkmale in der Population zu verankern. Allerdings reduziert Inzucht die genetische Diversität und damit die Anpassungsfähigkeit an Umweltbedingungen, außerdem kann es zur drastischen Erhöhung von schädlichen Merkmalen im Genpool kommen. Daher muss man mit dem Maß an Inzucht, das man zulässt, um Merkmale zu stabilisieren, vorsichtig sein.

Verhalten
Von nicht geringer Bedeutung ist auch das Verhalten der Tiere. Ein echter Auerochse war sicherlich nicht so umgänglich wie eine heutige Milchkuh. Da der Umgang mit unseren Tieren intensiv ist, sind große Wildheit oder Aggressivität unerwünscht, obwohl sie vielleicht zum echten Auerochsen gehörten. Die vorgeschrieben Untersuchungen, das Setzen von Ohrmarken oder die Durchführung von Exkursionen auf den Weideflächen machen es unumgänglich, dass die Tiere zahm sind.

Allerdings haben die bekannten Zuchtexperimente zur Domestikation mit russischen Silberfüchsen nahegelegt, dass es einen Zusammenhang zwischen Verhaltensmerkmalen und körperlichen Merkmalen gibt. Speziell die Zahmheit oder Umgänglichkeit ist stark mit dem Aussehen verknüpft. Eine Zucht in Richtung Zahmheit, wie es primär bei der Domestikation des Auerochsen geschah, führt automatisch zu einem anderen Aussehen. Typisch für die Domestikation sind z.B. kürzere Schnauzen und Beine oder Veränderungen der Fellfarbe. Wenn man also wieder in Richtung auf das Aussehen des Auerochsen züchtet, könnten die Tiere auch wilder werden. Das macht die Zucht schwierig, da gutes Aussehen dann oft mit Wildheit verknüpft wäre. Allerdings gibt es Tiere, die gutes Aussehen mit akzeptablen Verhalten kombinieren, so dass diese Individuen die Grundlage für die weitere Zucht bilden.

Soziales Gefüge
Alle unsere Tiere sind mindestens so weit zahm, dass sie im Winter Heu aus der Hand fressen. Wir haben aktuell fünf Herden und alle gehen auch zusammen mit dem Betreuer in den Corral, wo dann die vorgeschrieben Blutproben gezogen werden können.
Bei der Selektion muss man auch auf den sozialen Zusammenhalt und das Klima in der Herde Rücksicht nehmen. Das Gefüge in einer Rinderherde ist nicht linear, aber es gibt dominante Individuen, die auf die Herde einen beruhigenden Effekt haben. Und nicht zuletzt ist auch Dominanz ein Faktor, der sich in der Natur positiv auf die evolutionäre Fitness des Tieres auswirken würde, also ein wünschenswertes Merkmal.

In der Natur bilden Jungbullen gemeinsame Herden, die sich von den Herden der Kühe mit ihren Kälbern absondern. Ausgewachsene Bullen sind in der Regel eher Einzelgänger. Da die Fläche in unseren Naturschutzgebieten jedoch limitiert ist und wir einzelne besonders gute Bullen als Zuchtbullen einsetzen, ist auch die Zahl voll ausgewachsener Bullen auf ein Tier pro Herde beschränkt

Wie man sieht, sind sehr viele Faktoren bei der Selektionszucht gleichzeitig zu beachten. Oft muss man balancieren, ein Merkmal gegenüber einem anderen priorisieren oder Inzucht und genetische Stabilität gegenüber genetischer Vielfalt abwägen. Hinzu kommt, dass Rinder als Großsäuger eine sich vergleichsweise langsam fortpflanzende Spezies sind: Die Tragezeit der Kühe beträgt etwa neun Monate und die jungen Kühe bekommen mit etwa zwei Jahren ihr erstes Kalb. Auch wird jeweils nur ein Kalb geboren, nicht ein ganzer Wurf an möglichen genetischen Kombinationen, aus dem man sich das Beste heraussuchen kann. Daher nimmt die Auerochsen-Abbildzüchtung einen langen Zeitraum in Anspruch. Aber die bisherigen Zuchtresultate in der Lippeaue zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

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